Liebe Leserin, lieber Leser,
wir leben heute in turbulenten Zeiten. Weil wir von Krise zu Krise taumeln, sprechen manche schon von einer „multiplen Dauerkrise“. Wirklich brenzlich wird es, wenn dazu auch noch Konflikte hinzukommen. Seien es die zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates, wie zum Beispiel bei uns immer wieder innerhalb der Ampelkoalition oder zwischen Gewerkschaften und den Arbeitgebern. Doch, hier die gute Nachricht: Jeden Tag lesen, sehen oder hören wir in den Medien, dass man sich (oft in „letzter Minute“) einigen und der Konflikt nach „langen Verhandlungen“ schließlich beigelegt werden konnte.
Verhandeln gehört zu uns Menschen seit Anbeginn und sicherte uns das Überleben als und in der Gruppe. Es war und ist ein Weg, Interessenskonflikte gewaltfrei zu lösen und legte so den Grundstein für die Entwicklung unserer Gesellschaften und unserer Zivilisation.
Verhandeln-Können – nicht jedem gegeben, aber von jedem erlernbar
Erst recht in der Wirtschaft gehört Verhandeln-Können zu den wichtigsten Skills einer jeden Führungskraft. Dies fängt mit den Gehaltsverhandlungen an, geht über die Team- und Projektleitung, Verhandlungen im Einkauf oder das Aushandeln von Konditionen bei Projekten und Aufträgen und reicht schließlich hin zu Fusionen und Unternehmensübernahmen. Dabei lässt sich beobachten: Genauso, wie es geborene Verkäufer gibt, so gibt es auch geborene Verhandler. Der legendäre Apple-Gründer Steve Jobs war so jemand, der Ex-CEO Jack Welch von General Electric ebenso oder der Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk, nur um die bekanntesten zu nennen.
Doch was tun, wenn Sie sich nicht zu den (wirklich seltenen) Verhandlungsgenies zählen? Lässt sich diese wichtige Fähigkeit erlernen?
Die Antwort ist: Ja, zumindest in einem hohen Maß! Beim professionellen Verhandeln gibt es ein paar unverbrüchliche Regeln und Techniken. Beherrscht man sie, ist man auf dem besten Weg zur Könnerschaft in der Kunst des Verhandelns.
Ziele, Stil und Macht – eine gute Vorbereitung ist das A und O
Neben der sachlichen Vorbereitung und dem Wissen über die Gegenseite und die Personen am Verhandlungstisch sollten Sie für sich vorab drei fundamentale Fragen klären:
1. Was sind meine Ziele? Welches Ergebnis will ich erzielen? Wie ist meine Exit-Strategie?
Die allerwichtigste Frage am Beginn des Verhandlungsprozesses lautet: Was will ich erreichen? Was maximal, und was mindestens, bevor ich aus dem Verhandlungsprozess aussteige? Bis wo kann ich nachgeben, ohne mich und mein Unternehmen zu schädigen, wie hoch gehe ich in meinen Forderungen? Falls alle Stricke reißen und die Verhandlungen vor dem Abbruch stehen – existiert ein Plan B, mit dem ich meine Strategie ändern und meine Erwartungen und Ziele an die neue Situation anpassen kann?
2. Nullsummenspiel – oder Kompromiss-Lösung?
Die zweite fundamentale Frage ergibt sich unmittelbar aus der ersten. Wie will ich das Spiel des Verhandelns gestalten? Strebe ich hartes Verhandeln und damit ein Nullsummenspiel an? Win-Lose statt Win-Win? Das heißt, will ich möglichst viel von dem Kuchen, ganz gleich, was für mein Gegenüber übrig bleibt? Oder gehe ich den weichen und beständigen Weg, prüfe alle Optionen, mit denen ein Kompromiss erreicht werden kann und strebe eine Win-Win-Situation an, nach dem Motto „Man sieht sich im Leben immer zwei Mal“?
Anders gesagt: Handle ich gemäß dem kompromissorientierten chinesischen Sprichwort „Besser einen Diamanten mit einem Makel als einen Kieselstein ohne“? Oder bestehe ich darauf, unbedingt einen makellosen Diamanten als Maximalerfüllung meiner Forderung gleichsam als Trophäe mit nach Hause zu nehmen – ganz gleich, wie es um meinen Verhandlungspartner danach steht.
3. Schwäche oder Stärke: Bei wem liegt die Verhandlungsmacht?
Sehr wichtig für den Erfolg eines Verhandlungsprozesses ist die nüchterne Analyse der eigenen Verhandlungsposition. Wer von beiden Verhandlungspartnern ist stärker? Welcher Partner hat mehr Optionen und kann seine Strategie flexibler gestalten? Welche Seite ist auf ein positives Ergebnis angewiesen? Wer von beiden kann es sich zum Beispiel leisten, eine weitere Verhandlungsrunde einzulegen – oder gar die Reißleine zu ziehen und die Verhandlungen abzubrechen?
Habe ich die Macht oder hat sie die Gegenseite? Bin ich in der Lage, die Konditionen zu diktieren? Oder sind meine Spielräume begrenzt? Um es auf eine Kurzformel zu bringen: „Brauche ich die – oder brauchen die mich?“
Die Harvard-Methode: Empfehlungen für erfolgreiches und nachhaltiges Verhandeln
„Sei hart in der Sache und weich im Ton.“ Auf diese Formel lässt sich die wohl weltweit bekannteste und erfolgreichste Methode des Verhandelns bringen. Die Harvard-Methode hat sich bis heute bewährt und hatte in der Wirtschaft zu einem Umdenken geführt. Wurde früher die Kunst des Verhandelns oft mit Manipulation und dem oben bereits erwähnten Win-Lose-Ansatz (Nullsummenspiel) gleichgesetzt, führte diese Methode als erstes das „prinzipien“-und werteorientierte Verhandeln ein. Entwickelt wurde die Harvard-Methode vor rund vierzig Jahren von den Wissenschaftlern Roger Fisher und William Fury. Schon der Titel ihres bahnbrechenden Buches „Getting to Yes“ lässt ahnen, worauf der Fokus dieser Methode gerichtet ist.
Über das Verhandeln mit dieser Methode sind ganze Bücher geschrieben worden. Dennoch lassen sich für den Anfang drei Grundsätze heraus destillieren, an denen sich nahezu jeder moderne Verhandlungsprozess orientieren sollte. Sie haben eine enorme psychologische Wirkung auf die Verhandlungspartner und liefern letztlich die Grundlage für eine tragfähige Geschäftsbeziehung.
1. Menschen und Forderungen voneinander trennen
Das bedeutet, dass man Verhandlungen nicht als persönlichen Konflikt, sondern als Problemlösungsprozess betrachtet. Dabei wird eine sachliche von einer emotionalen Ebene unterschieden, um die gemeinsamen Interessen in den Mittelpunkt zu stellen und persönliche Angriffe oder Emotionen herauszuhalten. Dies führt zum respektvollen Miteinander, das das Vertrauen unter den Verhandlungspartnern stärkt – also etwas, das man benötigt, um die folgenden Prinzipien befolgen und anwenden zu können.
2. Fokussieren auf Interessen statt Positionen, auf das Warum statt das Was
Anstatt sich auf Positionen zu konzentrieren, also auf das, was man erreichen will, konzentriert sich die Harvard-Methode auf die Interessen, das heißt auf die Frage, warum man es will. Der Effekt: Indem man die zugrundeliegenden Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen aller Parteien versteht, können kreative und gemeinsame Lösungen entwickelt werden. Dies erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und gegenseitige Transparenz. Diese ist ohne Vertrauen nicht denkbar, zum Beispiel darin, dass der Verhandlungspartner die Information nicht zu seinem Vorteil ausnutzt.
3. Optionen für gegenseitigen Nutzen entwickeln
Die Harvard-Methode ermutigt die Parteien dazu, zusammen eine breite Palette von Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, bevor sie sich auf eine Lösung festlegen. Das Ziel dieses kollaborativen Prozesses ist es, zu Win-Win-Lösungen zu gelangen, aus denen beide Seiten einen Nutzen ziehen können. Selbst wenn man sich auf der Sachebene nicht einig ist, soll die Beziehungsebene zum Verhandlungspartner nach Möglichkeit nicht beschädigt werden.
Fazit zum Harvard-Konzept
Bereits die Befolgung dieser drei Prinzipien machen die Harvard-Methode zu einem effektiven Verhandlungsansatz, der hilft, konstruktive Lösungen zu finden, während die Beziehung zwischen den Verhandlungsparteien erhalten bleibt. Der Krug trägt bekanntlich das Wasser solange, bis er bricht. Das bedeutet, sollten die Verhandlungen nicht zielführend sein und sich die Fronten verhärten, werden dann oft die Techniken der harten Verhandlungsmethode angewandt. Auch wenn wir heute genug Konflikte in der Welt haben, möchte ich auf dieses konfrontative Verhandeln zum Abschluss kurz eingehen.
Manchmal muss es eben Druck sein
Auch wenn uns die kompromissbereite und weiche Verhandlungsmethode sympathischer erscheinen mag, so kann es durchaus Situationen geben, in denen eine strikte Orientierung am Maximalziel und somit ein hartes Verhandlungsziel angebracht ist. So beispielsweise überall dort, wo schnell Druck auf die Verhandlungspartner aufgebaut werden soll. Zum Beispiel bei Preisverhandlungen, bei denen die eigenen Möglichkeiten und Spielräume ausgeschöpft sind. Hier herrscht eindeutig das oben bereits erwähnte Nullsummenspiel vor, das sich auf die Formel bringen lässt: Mein Gewinn ist dein Verlust.
Da dieser kompromisslose Verhandlungsstil aber nur an kurzfristigen und schnellen Erfolgen á la „nach mir die Sintflut“ orientiert ist, schadet er der Geschäftsbeziehung und auch oft der Reputation des Gegenübers. Die „harten Hunde“ fürchtet man, man macht mit ihnen aber auf Dauer auch nur ungern Geschäfte.
Meisterschaft im Verhandeln in unserem Institut erlernen
Ich hoffe, dieser kleine Exkurs in die Welt der zeitgemäßen Verhandlungspraxis hat Ihre Neugierde auf dieses Thema geweckt und macht Appetit auf mehr. Als Weiterbildungsinstitut für Fach- und Führungskräfte bieten wir eine Vielzahl von Online- wie Präsenztrainings auch zu diesem so wichtigen Thema an. Diese sind sowohl allgemein wie auch spezifisch.
Erwerben Sie beispielsweise umfangreiche Kenntnisse und Fähigkeiten in der „professionellen Verhandlungsführung“ im gleichnamigen 2-Tages-Seminar oder erhalten Sie in unserem Web Based Training „Verhandlungstraining. Erfolgreich verhandeln“ in 2,5 Stunden erste Kenntnisse und Fähigkeiten rund um das Verhandeln in beruflichen und privaten Situationen.
Ich möchte Sie jedenfalls herzlich dazu einladen, in unserem breitgefächerten Seminar- und Kursangebot zu stöbern. Ich bin überzeugt, dass Sie für sich und Ihr Unternehmen fündig werden. Darüber hinaus hoffe ich, dass mein kleiner Beitrag Sie nicht nur überzeugen konnte, sondern auch dem Titel des oben erwähnten Buches gerecht werden konnte: „Getting to YES!“
Ich wünsche Ihnen einen schönen Einstieg in den Sommer und eine gelungene sowie entspannende Ferienzeit.
Bis zum Wiederlesen im Juli.
Ihr
Oliver Haberger
Dipl. Kfm. Univ.
Geschäftsführer